Deutlich mehr Angriffe auf Journalist*innen: ver.di, Innensenator und Polizei in Berlin vereinbaren bessere Zusammenarbeit zur Durchsetzung der Pressefreiheit

12.02.2021

119 An- und Übergriffe auf Journalist*innen sowie Behinderungen der Pressearbeit hat die Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di Berlin-Brandenburg seit Ende April 2020 (Stand Februar 2021) in Berlin gezählt - insbesondere bei Anti-Corona-Demonstrationen. „Während der Großteil der Übergriffe von Teilnehmenden der Demonstrationen ausgeht, ist aber auch rund ein Drittel von der Polizei ausgegangen,“ sagte die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch.
Die dju hatte zahlreiche Übergriffe medial begleitet und verurteilt:
https://dju-berlinbb.verdi.de/aktuell/pressefreiheit
 
Diese besorgniserregenden Zahlen und die zunehmenden Anfeindungen gegen Journalist*innen waren Anlass für ein Gespräch im Dezember zwischen dju/ver.di und Innensenator Andreas Geisel und Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Beide gaben ein klares Bekenntnis zur Pressefreiheit ab, sowohl mit Blick auf die Betreuung der Pressevertreterinnen und -vertreter vor Ort als auch hinsichtlich der Schaffung von Schutzräumen.
Ein weiterer Schwerpunkt im Gespräch zwischen Gewerkschaft, Innensenator und Polizei war der bundeseinheitliche Presseausweis (bePA) für hauptberuflich tätige Journalistinnen und Journalisten. Dieser beruht auf einer Vereinbarung zwischen der Innenministerkonferenz (IMK) und dem Deutschen Presserat, zu dessen Trägerverbänden auch die dju in ver.di gehört. „Alle sechs Verbände und Gewerkschaften, die berechtigt sind, den bundeseinheitlichen Presseausweis herauszugeben, setzen bei der Überprüfung der hauptberuflichen journalistischen Tätigkeit strenge Maßstäbe an“, sagte Gensch. „Der bundeseinheitliche Presseausweis soll es der Polizei erleichtern, zu erkennen, wer Journalist*in ist und wer nicht.“ Die dju/ver.di vertritt allein in Berlin-Brandenburg rund 8000 journalistisch tätige Mitglieder der Presse- und Medienbranche.
 
Die dju/ver.di, Innensenator und Polizeipräsidentin vereinbarten eine verbesserte Zusammenarbeit. „Wir hoffen, mit den nun verabredeten Maßnahmen die Arbeit von Journalist*innen insbesondere bei Demonstrationen zu erleichtern und sicherer zu machen“, erklärten der ver.di-Landesbezirksleiter von ver.di Berlin-Brandenburg, Frank Wolf, und die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch. Zu den getroffenen Absprachen gehören regelmäßige Auswertungen (Runder Tisch) nach Demonstrationen, zusätzliche Schulungen für Einsatzkräfte und Informationsmaterial der dju in ver.di für die Polizei.
https://dju-berlinbb.verdi.de/aktuell/nachrichten/++co++868754aa-405c-11eb-bf2b-001a4a16012a
 
Kleine Anfrage B‘90/Die Grünen:
Zahl der Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten nahezu verdoppelt
 
Die Zahl der Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten hat sich nahezu verdoppelt. Dies ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen zu „Polizeilichen Aufgaben und Pressefreiheit im Spanungsfeld“. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die hohe Zahl politisch motivierter Straftaten von rechts und insbesondere im Kontext von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, berichtete die Süddeutsche Zeitung.
Für das Jahr 2020 gibt die Bundesregierung auf Grundlage des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes der politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK) insgesamt erfasste 252 Strafdelikte gegen Medien bzw. Medienschaffende an, davon 144 aus dem rechten politischen Milieu (Stand: 23. Dezember 2020).  Laut Bundesregierung gab es bei Corona-Protesten im Zeitraum vom 1.3. bis zum 23.12.2020 bundesweit insgesamt 22 Gewaltdelikte gegen Medienschaffende, davon sechsmal mit Körperverletzung und zweimal mit schwerer Körperverletzung (beide politisch rechts motiviert).
In den Jahren 2016 bis 2020 verzeichnet die Bundesregierung bundesweit insgesamt 1.028 Gewaltdelikte gegen Medien bzw. Medienschaffende, davon insgesamt 116 Gewaltdelikte, von denen mit 29 auffällig viele in Sachsen stattfanden.
Erschreckend bei den Antworten ist auch, dass die Bundesregierung keine zunehmende Gefährdungslage für Medienschaffende bei Demonstrationen oder eine zunehmende Feindseligkeit gegenüber Vertreterinnen und Vertretern traditioneller Medien erkennt. Dies widerspricht sowohl Studien als auch den Einschätzungen von Reporter ohne Grenzen, dem Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit sowie weiteren Nichtregierungs-Organisationen und Journalist*innen-Verbänden wie der dju.
 
Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen erklärte dazu:„Der gewaltige Anstieg der Angriffe auf Vertreterinnen und Vertreter der Medien in 2020 ist alarmierend und müsste ein ganz anderes Problembewusstsein der Bundesregierung zur Folge haben. Unabhängige Berichterstattung scheint ausweislich der Zahlen eine besondere Zielscheibe gerade für Rechtsextreme und die Bewegung der Corona-Leugner zu sein und daher müssen wir alles tun, um Journalistinnen und Journalisten in dieser Zeit besser zu schützen.” Margit Stumpp, medienpolitische Sprecherin ergänzte:„Der Bundesregierung fehlt entweder das Verständnis oder der Wille, einen Zusammenhang zwischen der medienfeindlichen Haltung rechtsgerichteter gesellschaftlicher Milieus und der tatsächlichen Gewalt gegen Medienschaffende zu erkennen. Wir erwarten von Innenminister Seehofer mehr als verbale Empörung wie nach dem Angriff auf das ZDF-Team im Mai vergangenen Jahres. Der Schutz von Medienschaffenden muss strategisch und entschieden angegangen werden.“
 
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic u. a. und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Polizeiliche Aufgaben und Pressefreiheit im Spannungsfeld - BT-Drucksache 19/25546
KA-19_25546.pdf (margit-stumpp.de)
 

Verhaltensgrundsätze für Medien und Polizei

 
Der Deutsche Presserat hat der Innenministerkonferenz im November vergangenen Jahres einen Vorschlag über zeitgemäße gemeinsame Verhaltensgrundsätze für Polizei und Medien vorgelegt. „Es ist höchste Zeit, dass Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen und Großveranstaltungen besser geschützt werden und ungehindert arbeiten können“, erklärte der Sprecher des Deutschen Presserats Sascha Borowski. „Dazu möchten wir uns mit den Innenministern auf neue gemeinsame Regeln für die Polizei- und Pressearbeit einigen, die beiden Seiten einen verlässlichen Umgang miteinander garantieren.“
Den Entwurf hat der Deutsche Presserat mit seinen Trägerverbänden dju, DJV, BDZV und VDZ sowie der ARD, dem ZDF, dem Deutschlandradio und dem Verband Privater Medien VAUNET erarbeitet. Die beteiligten Verbände und Medien fordern von der Polizei verbesserte Sicherheitskonzepte und ein stärkeres Bewusstsein für den verfassungsmäßigen Schutzanspruch und Informationsauftrag der Medien. Dies soll klarer als bisher in der Aus- und Weiterbildung von Polizistinnen und Polizisten verankert werden.
Im Gegenzug verpflichten sich Journalistinnen und Journalisten, die Sicherheitskräfte nicht zu behindern und sich bei der Berichterstattung über polizeitaktische Maßnahmen mit der zuständigen Polizeiführung abzusprechen. Dazu soll die Kommunikation zwischen Sicherheitskräften und Medienvertreter*innen insbesondere bei Großeinsätzen verbessert werden.
Leider wurde die Vereinbarung über die Verhaltensgrundsätze bei der letzten Innenministerkonferenz (IMK) im Dezember 2020 nicht verabschiedet, sondern zunächst in Ausschüsse verwiesen, wie die dju Berlin-Brandenburg erfuhr. Laut Innensenator Geisel werden die Verhaltensgrundsätze in der März-Sitzung der IMK Thema sein. Die dju hofft, dass dort ein entsprechender Beschluss gefasst wird und das Thema nicht auf die lange Bank geschoben wird.
Grundlage für den Entwurf sind die Verhaltensgrundsätze Presse/Rundfunk und Polizei von 1993, die damals vor dem Hintergrund der Geiselnahme von Gladbeck mit der Innenministerkonferenz verhandelt wurden.
Zum aktuellen Entwurf des Presserats: https://www.presserat.de/files/presserat/dokumente/download/Verhaltensgrundsätze_MedienPolizei_Entwurf_24_11_2020.pdf
 

Hilfe für bedrohte Journalist*innen durch

dju Berlin-Brandenburg und Demo-Watch

dju-Landesgeschäftsführer Jörg Reichel: „Wir sind nahezu bei jeder rechten und linken Demonstration vor Ort, beraten und helfen Kolleg*innen, wenn es Probleme mit Teilnehmenden oder der Polizei gibt.“ Von den 119 An- und Übergriffen wurde aber nur der geringste Teil angezeigt, meist nur bei Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen von Kameras und Ausrüstung. Viele Journalist*innen zeigen Beleidigungen und andere Angriffe aber oft nicht an, um durch Angabe ihrer persönlichen Daten nicht noch privat Zielscheibe rechter Gewalt zu werden, so Reichel.
Die dju registriert die Vorfälle anonym. „Wir wollen einen Überblick über die Angriffe haben, um aussagefähig zu sein und den Journalist*innenund Mitgliedern zu helfen und sie zu unterstützen gegenüber Behörden und Politik,“ erklärt die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch, „deshalb meldet Euch bei uns, wenn es Probleme mit Demo-Teilnehmer*innen oder der Polizei gibt. Wir helfen und unterstützen Euch!“
 
Jörg Reichel dju-Landesgeschäftsführer
Tel.: (030) 8866 - 5408
Mobil: 0151-62425560
Joerg.Reichel@verdi.de


Renate Gensch dju-Landesvorsitzende
Mobil: 0177/2583865
Renate.Gensch@gmx.net
 
oder über
Demo Watch
Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten während Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen nehmen zu. Eine ungehinderte Berichterstattung ist vielerorts kaum mehr möglich.
 
Deshalb haben wir als Service für unsere Kolleginnen und Kollegen die Whatsapp-Gruppe Demo Watcheingerichtet. Hier können sich Journalistinnen und Journalisten eintragen, die einen Vorfall öffentlich machen wollen und/oder Unterstützung benötigen. Demo Watch bietet außerdem die Möglichkeit, sich regional miteinander zu vernetzen.
 
Und so funktioniert’s:
Um Mitglied der Whatsapp-Gruppe Demo Watch zu werden, füge bitte die Nummer +49 152 04506733 unter dem Namen Demo Watch den Kontakten auf Deinem Smartphone hinzu und sende dann an diesen Kontakt eine Nachricht mit dem Inhalt Demo Watch START.